Der Aderlass
Daß der französische König Ludwig der XIII. in einem einzigen Jahr 47 mal zur Ader gelassen wurde, das ging ja noch an; der Fall des Mädchens aber, das laut Mitteilung eines französischen medizinischen Journals des 18. Jh. in nur einem Jahr 4000 mal zur Ader gelassen wurde, läßt den modernen Transfusionsmediziner doch argwöhnen. Von solchen Exzessen einmal abgesehen, war der prophylaktische Aderlass noch im 19. Jahrhundert gang und gäbe und galt besonders für Völler, Freß- und Sauflustige als probates Mittel. Geradeso wie Philipp Melanchthon empfahl: „Wenn man also toll und voll mit seltzamer Speise durcheinander vermischt den Leib biß oben angefüllt, und auf den Morgen der Kopf schwer wird, Drückung umb die Brust und andere Zufälle sich zutragen, alßdann lasset man zur Ader und saufft wieder, daß’s kracht.“
Aber auch wenn Schmalhans Küchenmeister war, gehörte der alljährliche Aderlaß, oder das Schneppen, vielerorts zur Gesundheitsvorsorge, abgesehen nur von Kindern unter 17, die nach den Vorschriften der hohen Schule von Salerno nicht zur Ader gelassen werden durften. Auch bei den alten Israeliten war der Aderlaß verboten. Für die Ordensgeistlichen, die nach der Zisterzienserregel lebten, war die Prozedur dagegen Vorschrift.
Eine große Kunst war’s wohl nicht: Der Chirurgus, Bartscherer oder Badeknecht strich – möglichst zu einem astrologisch günstigen Zeitpunkt – die Extremitäten zu den Akren hin aus, legte die Fascia pro venae sectione vulgo Aderlaßbinde an, eröffnete mit dem Laßeisen oder mit dem Schnepper eine Vene etwa in der Ellenbeuge und ließ das Blut in das Laß-Becken sudeln.