Friedrich Torberg – Auf der Suche nach der verlorenen Zeit
Eine nicht bestandene Matura und eine Anstellung beim Prager Tagblatt bestimmten das Schicksal Friedrich Torbergs (1908–1979) grundlegend. Die Zeitung, deren Kultur-Ressort von Max Brod betreut wurde, druckte unter anderem Beiträge von Joseph Roth, Egon Erwin Kisch, Arnold Höllriegel, Alfred Döblin, Franz Molnar und Alfred Polgar. Torberg verstand das Ein und Aus namhafter Autoren zu nutzen: Brod protegierte seinen Romanerstling Der Schüler Gerber hat absolviert (1930), die Bekanntschaft und Freundschaft mit den meisten der genannten Schriftsteller verschafften dem erst 22-Jährigen das Entrée in die Literatenzirkel Wiens und Prags. Der aktive Sportschwimmer tauchte tief ein in die Welt der Kaffeehäuser, war stets zur rechten Zeit am rechten Tisch und wurde – eine fast unerhörte Ehre – als Zögling an Karl Kraus’ literarischer Tafelrunde empfangen. Angesichts des Lebenswerks Torbergs mag es ungerecht sein, doch der Jüngstgeborene der Wiener Kaffeehausliteraten war auserkoren, seinen Ruhm als deren Grabredner zu erlangen. In der Tante Jolesch (1975) lässt er mit klugem Klatsch das verstummte Stimmengewirr des „Central“ oder des „Herrenhof“ wieder aufklingen. Für diesen „Untergang des Abendlandes in Anekdoten“, so der Untertitel des Buches, scheint aber nicht Spengler, sondern Proust Pate zu stehen: Es ist eine bitter-schöne Suche nach der verlorenen Zeit.
Sie alle hat es gegeben und es gibt sie nicht mehr, weder sie noch die Gefilde und Kulissen, in denen sie sich bewegten, nicht die Kaffeehäuser und Redaktionen, nicht die Familientische und Sommerfrischen, nichts. […] Vielleicht hätte ich ein Buch der Trauer schreiben sollen, aber die möchte ich doch lieber mit mir allein abmachen. Wehmut kann lächeln, Trauer kann es nicht. Und Lächeln ist das Erbteil meines Stammes.
Friedrich Torberg, Die Tante Jolesch (1975)