Felix Salten – Die Kunst literarischen Fremdgehens
Bekannt hat sich Felix Salten (1869–1945) zu seiner literarischen Vaterschaft der Josefine Mutzenbacher (1906) nie. Das ist nicht ganz verwunderlich, denn die vorgeblichen Memoiren einer Wiener Dirne waren ein Skandal: Unverschämt vergnügt und fernab jeder Gewissenseintrübung blickt die Mutzenbacher den Wienern unter die Röcke – unter die feinen wie die groben – und gibt intime Kenntnis von der Lebhaftigkeit des Liebens an der schönen blauen Donau. Freilich ist Josefines unerhörte Begabung zum Beischlaf eine Männerphantasie. Doch Felix Salten formte aus ihrer lustvollen Karriere den wohl einzigen deutschen Klassiker der erotischen Literatur – jedoch ohne dass ihm selbst der gebührende Lohn zuteil werden konnte.
Zumindest in pekuniärer Hinsicht war das im literarischen Wien, wo man, bitt’schön, im Kaffeehaus schrieb und anschrieb, kein Einzelschicksal. Ohnehin lebte Felix Salten überwiegend von seiner journalistischen Arbeit – wobei er unter anderem erfolgreich aus den Boudoirs der Wiener Hofgesellschaft berichtete, aber auch gerne einmal vom Kaffeetisch aus Reportagen aus San Francisco improvisierte. Wie weit sich Felix Saltens Phantasie tatsächlich in alle Himmelsrichtungen strecken konnte, von Licht und Dämmerschatten gleichermaßem angezogen wurde, zeigt auch der sehr ungleiche Bruder, den die Feder Saltens der Mutzenbacher schuf: Das von Disney zum Welterfolg verfilmte Hirschlein Bambi (Buch: 1923).
Wenn man bedenkt, dass das Jahr 365 Tage hat, und wenn man nur, gering gerechnet, den Tag mit drei Männern einschätzt, so macht das an elfhundert Männer im Jahr, macht in drei Jahrzehnten wohl dreiunddreißigtausend Männer. Es ist eine Armee. Und man wird es weder anraten noch wünschen, dass ich von jedem der Dreiunddreißigtausend [...] einzeln Rechenschaft ablege.
Felix Salten, Josefine Mutzenbacher. Die Lebensgeschichte einer Wienerischen Dirne, von ihr selbst erzählt (1906)