Ferdinand von Saar – Altösterreichische Elegien
Am 24. Juli 1906 setzte sich Ferdinand von Saar vor einen Spiegel in seiner Wohnung in Wien-Döbling, hob den schweren Armeerevolver an die Schläfe und drückte ab. Die Kugel drang unglücklich in den Kopf des seit vielen Jahren an einer äußerst schmerzhaften Darmerkrankung Leidenden. Sein Tod zog sich bis in die Abendstunden. Er steht als tragischer Abschluss einer langen Elegie, die sein ganzes Leben beschrieb und sein Werk durchdrang. 1848 trat der Frühwaise ohne besondere Neigung zur Armee. Er verließ sie nach elf Jahren als Leutnant und in einer finanziell verzweifelten Lage. Zunächst versuchte er sich als Dramatiker. Doch erst mit den Novellen aus Österreich (1877) und dem Gedichtzyklus Wiener Elegien (1893) fand der bald 60-Jährige zum eigenen Ton, zu Publikum und schließlich zu Ruhm. Von Saar gilt heute als einer der bedeutendsten österreichischen Realisten. Vor allem aber erscheint sein Werk als eine empfindsame Verlustmeldung, die feinste Spuren eines einsetzenden Zusammenbruchs der alten Welt nachzeichnet.
Doch du bist noch, o Wien! Noch ragt zum Himmel dein Turm auf,
Uralt mächtiges Lied rauscht ihm die Donau hinan.
Und so wirst du bestehen, was auch die Zukunft dir bringe –
Dir und der heimischen Flur, die dich umgrünt und umblüht.
Sieh, es dämmert der Abend, doch morgen flammt wieder das Frührot –
Und bei fernem Geläut’ segnet dich jetzt dein Poet.
Ferdinand von Saar, Wiener Elegien (1893)