Alfred Polgar – Unterm Strich ein Meister
Zeitungen leben vom steten Anstrom des Neuen, selten überdauern ihre Meldungen den Tag oder die Woche der Drucklegung. Entsprechend dem Zyklus täglicher Erneuerung sind aus dem Heer guter und begabter Zeitungsautoren nur eine Handvoll „Eintagsfliegen“ zum „Rang höherer Insekten“ aufgestiegen, wie Joseph Roth zuspitzt. Geradezu eine Ikone des Zeitungswesens ist der Wiener Feuilletonist Alfred Polgar (1873–1955).
Polgar war kein rasender Reporter, sondern einer, der in eleganter Beiläufigkeit am Tagesgeschehen vorbeischlenderte. Im Druckbild damaliger Zeitungen trennte ein breiter schwarzer Balken das Feuilleton von den Meldungen darüber. Und nicht mit der Analyse der jüngsten Reichstagsdebatte, sondern aus der Haltung eines überzeugten Danebenstehers, eines geistigen Flaneurs und Kaffeehaussitzers heraus, mit scheinbar zufälligen und harmlosen Alltagsbetrachtungen oder Anekdoten über die wechselnden Befindlichkeiten der Haushälterin Frau Sedlak, den alten Dienstmann an der Ecke und andere Unauffällige vermochte er das Antlitz seiner Zeit gestochen scharf und „aufs Augenhärchen genau“ zu zeichnen, wie Kurt Tucholsky anerkennend feststellte. Die quecksilbrige Beweglichkeit seines Denkens und Schreibens „unterm Strich“ sowie sein feiner, kluger Humor machten Polgar schon zu Lebzeiten zur Legende. Bis heute gilt: Wer lernen will und wer staunen will, zu welch lichter Höhe sich die „kleine“ Kunst des Feuilletons einst aufschwang, der lese Alfred Polgar.
Ich muss über diese Stadt ein vernichtendes Urteil abgeben, Wien bleibt Wien.
Alfred Polgar