Ödön von Horváth – Walzertanz am Abgrund
In den letzten Maitagen des Jahres 1938 erreichte Ödön von Horváth (1904–1938) Paris. Ein zur Drohkulisse gewandeltes Deutschland im Rücken, hoffte der als Erneuerer des Wiener Volkstheaters bekannt gewordene Dichter auf Zuflucht an der Seine. Am Abend des ersten Juni fegte ein heftiger Gewittersturm über die Champs-Élysées. Horváth hatte gerade in einem Café über die Filmrechte seines Romans Jugend ohne Gott (1937) verhandelt, als ihn ein plötzlich herabbrechender Ast traf und tödlich verletzte. Die Beisetzung fand auf dem Pariser Friedhof Saint-Ouen statt. Es fällt schwer, in der grotesken Zufälligkeit seines Todes nicht auch eine Abart jenes abgründigen Witzes zu erkennen, mit dem der aus Ungarn stammende Horváth sein Publikum bisweilen traktierte. Die Geschichten aus dem Wiener Wald (1931), sein erfolgreichstes Werk, ließen der Heurigenfröhlichkeit des von Johann Strauß’ Walzer geliehenen Titels ein modernes, bedrohliches Echo folgen: Die gedrechselten Phrasen der Figuren verbargen nur mangelhaft eine tiefe Verzweiflung und stumpfe Leere. Horváth sah sich damit als Erbe jenes kritischen Volkstheaters, das Grillparzer und Nestroy betrieben hatten – ohne schützende Patina, ohne gängige Klischees stellte er die Wiener in wahrhaft bitterer Komik auf die Bühne.
Nichts gibt so sehr das Gefühl der Unendlichkeit als wie die Dummheit.
Ödön von Horváth, Geschichten aus dem Wiener Wald (1931)