Das Wiener Literatencafé
Mit feinem Gespür für den Nerv seiner Zeit bemerkte Alfred Polgar, das Kaffeehaus sei ein „Asyl für Menschen, die die Zeit totschlagen müssen, um nicht von ihr totgeschlagen zu werden.“ Tatsächlich waren es bewegte Zeiten, in denen die Häuser wie das „Griensteidl“, das „Central“ oder der „Herrenhof“ für viele Künstler und Autoren zum Wohnzimmer und Arbeitsplatz in einem wurden. Die Geburtsstunde der Moderne schlug innerhalb der wohldosierten Halböffentlichkeit von Rundtischen und Separées, und eine feine Auswahl an Getränken, Zeitungen und Gesprächspartnern sowie die späte Sperrstunde waren ihr fruchtbarer Nährboden. Peter Altenbergs Skizzen, Karl Kraus’ beißende Kritiken, Alfred Polgars hell funkelndes Feuilleton, Anton Kuhs Satiren – sie alle sind ohne die spezifische soziale Melange des Kaffeehauses kaum denkbar. Auch wenn die große Zeit der Literatencafés vorüber ist: Als eines der letzten seiner Art besteht das Café Hawelka bis heute – wie Stammgast Heimito v. Doderer feststellte „letzten Endes nur deshalb, weil Herr Hawelka nicht renoviert“.
Das Café Central ist nämlich kein Caféhaus wie andere Caféhäuser, sondern eine Weltanschauung, und zwar eine, deren innerster Gehalt es ist, die Welt nicht anzuschauen. Was sieht man schon? [...] Seine Bewohner sind größtenteils Leute, die allein sein wollen, aber dazu Gesellschaft brauchen.
Alfred Polgar, Die Theorie des Café Central