Josef Weinheber – Die Enterbung eines Dichters
Am 8. April 1945, als die Rote Armee schon gegen Wien vorrückte, dämmerte Josef Weinheber (1882–1945) ohne Bewusstsein in den Tod. Vom jahrelangen Alkoholmissbrauch geschwächt, waren das Herz, die Leber und die Nieren des Dichters dem eben verabreichten Morphium nicht mehr gewachsen. Nach seinem einsamen, traurigen Tod hinterließ Weinheber ein lyrisches Werk, dessen Bedeutung weit über die österreichische Literatur hinausreicht – und zugleich einen üblen Leumund. Vor allem spätere Kritiker haben über den Metzgersohn aus Ottakring, der zu einem der populärsten Künstler seiner Generation herangewachsen war, den Stab gebrochen: Eine kurze Phase der Sympathie für das Dritte Reich bewirkte einen bis heute anhaltenden Bannstrahl, welcher den mit überbordendem Talent gesegneten Dichter weit hinter den ebenso kurzsichtigen wie kurzzeitigen politischen Menschen stellte. Ein leichtfertiger Umgang mit dem Erbe eines Künstlers, der mit jeder Faser und jedem Federzug der Heimat verbunden war und dessen schöpferische Kraft gerne festgefügte Formate und Vorgaben sprengte. Jeder Wiener sollte Weinhebers Gedichtband Wien wörtlich (1935) gelesen haben: Teils in mundartlicher Dichtung verfasst, eine Vielzahl von Schattierungen nachzeichnend und Tonhöhen durchwandernd, ist das schmale Heft eine zeitlose Liebeserklärung an die Stadt.
So ist er am schönsten: Wenn mit blauern
Lasuren winters der Abend beginnt,
wenn zwischen Himmel und grauen Mauern
weiße Dächer die Grenzen sind.
Wenn sanft im Zwielicht die nebligen Sonnen
der hohen Bogenlampen aufgehn
und aus den Fenstern, gelb und verronnen
zögernde Lichter herübersehn.
Wenn aus der Härte der Welt entglitten,
mit Formen, himmlisch und ungenau,
die schlanke Mariensäule inmitten
aufragt, ein schwarzes Zepter im Grau:
Dann wird der Platz ganz Traum, und am Ende
verschwimmt er in seltsam gestrigem Licht,
indes überm Düster der Buden und Stände
Schnee fällt – weiß und leise und dicht ...
Josef Weinheber, Platz am Hof (1935)