Ingeborg Bachmann – Auf „gestundete Zeit“ in Wien
Nein – Ingeborg Bachmann (1926–1973) ist keine Wiener Autorin. Im Gedächtnis des Literaturbetriebes hat sie einen festen Platz als Klagenfurterin. Dort steht ihr Geburtshaus, dort erfuhr sie wesentliche Prägungen, dort wird unter ihrem Namen seit Jahrzehnten einer der wichtigsten literarischen Preise im deutschsprachigen Raum ausgelobt.
Im Wien der Nachkriegszeit hat sie als Mädchen aus der Provinz studiert, etwa bei Victor Kraft und Viktor Emil Frankl, hier hat sie Ilse Aichinger, Paul Celan und Gerhard Fritsch kennengelernt. Durch sie und mit ihnen fand sie Anschluss an neue literarische Richtungen.
Die Adressen ihrer Wiener Existenz sind bald aufgezählt: Ingeborg Bachmann wohnte ab 1946 in der Beatrixgasse 26 und ab 1949 in der Gottfried-Keller-Gasse 13. Beides waren Wohnstätten unweit der Ungargasse, die in ihrem Roman Malina (1971) eine große Rolle spielt.
Nachdem Rom für viele Jahre der Lebensmittelpunkt Bachmanns gewesen war, plante sie in ihren reifen Jahren zurückzukehren nach Wien, in die Stadt ihrer Jugend, in ihre geistige Heimat. Doch es gelang nur in ihren Werken. In Malina etwa, wo neben ihrer Wohngegend auch ihr Stammlokal, das Café Am Heumarkt, Erwähnung findet.
Nein – Ingeborg Bachmann ist keine Wiener Autorin, und dennoch: Die Wiener Literatur wäre ohne diese vielleicht wichtigste österreichische Schriftstellerin keinesfalls vollständig.
In dieser […] Einheit bin ich zu mir gekommen, und ich kenne mich aus in ihr, oh, und wie sehr, denn der Ort ist im Großen und Ganzen Wien, daran ist noch nichts sonderbar, aber eigentlich ist der Ort nur eine Gasse, vielmehr ein kleines Stück von der Ungargasse […]. So will ich nicht erst anfangen, über meine Gasse, unsre Gasse unhaltbare Vermutungen aufzustellen, ich sollte vielmehr in mir nach meiner Verklammerung mit der Ungargasse suchen, weil sie nur in mir ihren Bogen macht […].
Ingeborg Bachmann, Malina (1971)