Gustav Meyrink
Ein Zeitgenosse Kafkas war der 1868 in Wien geborene Romancier und Erzähler Gustav Meyrink. Er war der uneheliche Sohn des württembergischen Staatsministers Carl Freiherr von Varnbüler und der bayrischen Hofschauspielerin Marie Meyer. Nach dem Studium an einer Prager Handelsakademie gründeten Meyrink und ein Kompagnon 1889 ein Bankinstitut in Prag, dessen wirtschaftlicher Ruin aber nach Anfeindungen und einem Prozeß besiegelt war. Ein großes Lesepublikum sicherte ihm der 1915 erschienene Prag-Roman Der Golem, in dem sich sein Hang zu Kabbala und okkulten Phantasien deutlich niederschlug. Anders als sein Freund Max Brod, konnte Kafka mit Meyrinks Mystizismus, mit seinem Hang zum Seltsamen und Effektvollen wenig anfangen. An Milena Jesenská schrieb er einmal zur Erzählung Der Fluch der Kröte (tsch. Kletba ropuchy): „Ropucha ist schön – ist schön, aber nicht sehr schön – nicht sehr schön, es geht der Geschichte wie dem Tausendfüßler; nachdem sie einmal durch den Witz fixiert ist, kann sie sich nicht mehr rühren und erstarrt auch nach rückwärts hin, alle Freiheit, Bewegung der ersten Hälfte ist verloren.“
Immer einmal in der Zeit eines Menschenalters geht blitzschnell eine geistige Epidemie durch die Judenstadt, befällt die Seelen der Lebendigen zu irgendeinem Zweck, der uns verhüllt bleibt, und lässt wie eine Luftspiegelung die Umrisse eines charakteristischen Wesens erstehen, das vielleicht vor Jahrhunderten hier gelebt hat und nach Form und Gestaltung dürstet.
Gustav Meyrink, Der Golem