Kafka in Paris
Im Herbst 1910 unternahm Franz Kafka mit den Brüdern Max und Otto Brod eine Reise nach Paris. Die jungen Männer hatten eifrig Reiseführer und -literatur studiert und ihre Französischkenntnisse aufgefrischt. Allerdings fühlte sich Kafka schon bei der Abreise durch eine Furunkulose krank und mußte nach einigen eher mühsamen Tagen und der Besichtigung der wichtigsten Sehenswürdigkeiten die Reise abbrechen. Wie anders erlebte ein rundum gesunder Kafka dann im darauffolgenden Jahr die fünf Tage, die er mit Max Brod an der Seine verbringen konnte! Gustave Flaubert und Napoleon Bonaparte, Louvre und Versaille, Invalidendom und Carnavalet-Museum, Metro, Kino und dazu jede Menge adretter Französinnen. Da tat es dann gut, sich im Anschluß eine Woche im Sanatorium Erlenbach bei Zürich von den Strapazen zu erholen.
Nie im Leben bin ich je wieder so ausgeglichen heiter gewesen wie in den mit Kafka verbrachten Reisewochen… Es war ein großes Glück, in Kafkas Nähe zu leben.
Max Brod, Reisetagebücher
Das gestrichelte Paris: die aus den flachen Kaminen herauswachsenden hohen dünnen Kamine (mit den vielen kleinen blumentopfartigen), die äußerst stummen alten Gaskandelaber, die Querstriche der Jalousien, denen sich in den Vorstädten die gestrichelten Schmutzabdrücke auf der Hauswand anfügen, die dünnen Leisten auf den Dächern, die wir in der Rue Rivoli sahen, das gestrichelte Glasdach des Grand Palais des Arts, die strichweise geteilten Fenster der Geschäftsräume, die Gitter der Balkone, der aus Strichen sich bildende Eiffelturm, die größere Strichwirkung der Seiten- und Mittelleisten der Balkontüren gegenüber unsern Fenstern, die Sesselchen im Freien und die Kaffeehaustischchen, deren Beine Striche sind, die goldspitzigen Gitter der öffentlichen Gärten.
Franz Kafka, Reisetagebücher