Im Goldenen Gäßchen
Um die Mitte des Jahres 1916 suchte Kafka nach einem ruhigen Ort zum Schreiben. Mit seiner Schwester Ottla begab er sich zu diesem Zweck unter anderem auch ins „Goldene Gäßchen“ auf der Prager Burg: „Zum Spaß fragten wir in dem kleinen Gäßchen nach. Ja, ein Häuschen wäre im November zu vermieten“. In dem Häuschen Nr. 22 entstanden ab Spätherbst 1916 eine ganze Reihe bedeutender Texte Kafkas, unter anderem auch die meisten Erzählungen, die 1920 in der Sammlung Ein Landarzt veröffentlicht wurden. Kafka verbrachte üblicherweise die Abendstunden in dem Häuschen, nachdem er die Arbeiten des Tages verrichtet hatte. Über Nacht konnte er in dem kleinen Raum freilich nicht bleiben, so ging er meist in den frühen Morgenstunden oder gegen „Mitternacht über die Alte Schloßstiege zur Stadt hinunter“.
Der Geist wird erst frei, wenn er aufhört, Halt zu sein.
Franz Kafka, Aphorismen
In allem: der schöne Weg hinauf, die Stille dort, von einem Nachbar trennt mich nur eine sehr dünne Wand, aber der Nachbar ist still genug; ich trage mir das Abendessen hinauf und bin dort meistens bis Mitternacht; dann der Vorzug des Weges nach Hause: ich muß mich entschließen aufzuhören, ich habe dann den Weg, der mir den Kopf kühlt. Und das Leben dort: es ist etwas Besonderes, sein Haus zu haben, hinter der Welt die Tür nicht des Zimmers, nicht der Wohnung, sondern gleich des Hauses abzusperren; aus der Wohnungstür geradezu in den Schnee der stillen Gasse zu treten.
Franz Kafka an Felice Bauer