Jiří Havlíček – Der Tiefenlyriker
Den 1913 in Berlin geborenen Jiří Havlíček ziert der Ehrentitel „letzter deutscher Dichter Prags“. Sein Leben hat er einzig der Dichtung gewidmet, von politischen Bewegungen hielt er sich fern, nie begab er sich in die Dienste einer Staatsmacht. Während seine Kollegenschaft sich willig Hammer und Sichel unterwarfen (heute tun sie es augenzwinkernd als Jugendsünde ab), blieb er der Dichter ohne Parteibuch. Was Wunder, wenn er nicht zu den Ausgezeichneten und Preisgekrönten zählte. Tausende und Abertausende Verse hat er für die Schreibtischschublade geschrieben in den stillen, einsamen Jahrzehnten in seiner Wohnung in Žižkov, nur ein Bruchteil fand, im Eigenverlag veröffentlicht, den Weg zu den Lesern: Bände wie Tiefenlyrik, Seelig die Friedfertigen, Das Jahrhundert der impotenten Künstler, Vladana oder der alte Mann und das Mädchen.
Im Vorfrühling 1999 blieb die wöchentliche Postkarte aus, die der Dichter seit Jahren seiner Schwägerin nach Kaaden geschickt hatte. Das war das vereinbarte Zeichen dafür, dass der vereinsamte Dichter an sein Lebensziel gelangt war.
Die Nullen halten zusammen, aber es nützt ihnen nichts. Auch noch so viele Nullen machen kein anderes Ergebnis als Null.
Jiří Havlíček
Lebensziel
Ein Ziel im Leben hab’ ich nicht –
Doch kenn’ ich alle Ziele.
Das Leben hält, was es verspricht:
Zum Tod durch meine Mühle.
Hinauf im Flug zur höchsten Spitz’ –Und dann hinunter springen,
Wie Gottes heißer Racheblitz
Tief in die Dinge dringen!
Nur das ist, was mich freuen kann,
Das Fliegen und das Springen.
Und komm’ ich auch zerschmettert an –
ich brauch’ es um zu klingen …
Denn da ich gute Flügel hab’,
So muss ich sie doch schwingen –
Der letzte Sprung ins leere Grab
Wird mich zum Ziele bringen.
Jiří Havlíček