Die Lese- und Redehalle
Als Student gehörte Kafka der „Lese- und Redehalle der deutschen Studenten in Prag“ an – in Studentenkreisen kurz „Halle“ genannt. Die „Halle“ war eine Vereinigung liberaler deutschsprachiger Studenten. Von besonderem Wert war die Bücherei der „Halle“, die mit etwa 50.000 eingestellten Büchern nach der Universitätsbibliothek die zweitgrößte in Prag war. Kafka war Mitglied der Abteilung für Literatur und Kunst und hatte zeitweilig den Posten des Literaturberichterstatters inne. Hier gab es regelmäßige Debatten- und Vortragsabende. An einem dieser Abende trug der eben vom Gymnasium ins Studentenleben getretene Max Brod zum Thema „Schopenhauer und Nietzsche“ vor, im Forum saß Franz Kafka, der Brod dann nach dem Vortrag heimbegleitete und mit starkem Widerspruch konfrontierte. An diesem denkwürdigen Abend nahm die Lebensfreundschaft der beiden jungen Prager ihren Anfang.
Der Ort unseres ersten Zusammentreffens war die „Lese- und Redehalle der deutschen Studenten“. [...] Die Sektion hatte ihre regelmäßigen Debatten- und internen Vortragsabende. Bei einem dieser Abende debütierte ich, frisch vom Gymnasium weg, mit einem Vortrag „Schopenhauer und Nietzsche“, der deshalb einiges Aufsehen machte, weil ich, erbitterter und fanatischer Schopenhauerianer, der ich damals war und als welcher ich den geringsten Widerspruch gegen die Thesen meines vergötterten Philosophen förmlich als Majestätsbeleidigung empfand, von Nietzsche ganz einfach und unverblümt als von einem „Schwindler“ gesprochen hatte. [...] Nach diesem Vortrag begleitete mich Kafka, der um ein Jahr Ältere, nach Hause.
Max Brod, Über Franz Kafka
Früher begriff ich nicht, warum ich auf meine Frage keine Antwort bekam ...
... heute begreife ich nicht, wie ich glauben konnte, fragen zu können. Aber ich glaubte ja gar nicht, ich fragte nur.