Oskar Baum
1883–1941
Oskar Baum wird im Jahre 1883 in Pilsen als Sohn eines Kaufmanns geboren. Er wächst, wie seine Vorfahren auch, im jüdischen Glauben auf. Über seine frühe Kindheit ist kaum etwas bekannt, wenn man von den vielen autobiographisch anmutenden Romangestalten einmal absieht, die zumindest eines mit dem Autor gemeinsam haben: den Verlust des Augenlichts. Auf einem Auge seit Geburt fast blind, verliert Baum als 11-jähriger durch eine Rauferei in der Schule auch die Sehkraft des anderen Auges. Über diese Rauferei und deren Folge wird viel spekuliert: während Baum das Ereignis in autobiographischen Äußerungen lediglich als Kinderstreit interpretiert, spricht Kafka von der politisch motivierten Tat eines tschechischen Jungen auf den deutsch-jüdischen Schulkameraden: „Oskar Baum verlor sein Sehvermögen als Deutscher, als etwas, was er eigentlich nie war und was ihm nie zuerkannt wurde.“ Daraufhin wird er in einer Wiener Blindenanstalt zum Musiker ausgebildet. Ein Zusammentreffen mit dem frühen Pilsner Schulfreund Max Bäuml veranlaßt Oskar Baum, Wien und somit auch das behütete Leben in der Anstalt zu verlassen. Über diese Unterredung der Freunde erzählt Baum: „Er war es, der mir bei seinem Besuch in Wien, von wo ich mich nur ungern und zögernd löste, von Brod erzählte, einen ganzen Nachmittag lang, den wir in dem sommerlich schwülen Anstaltsgarten auf und nieder gingen. Er wollte mir die Prager Sphäre dadurch verlockend erscheinen lassen. Er freute sich in unbeschreiblicher Weise darauf, uns miteinander bekannt zu machen. Er schilderte so fesselnd, farbig und mit dem Blick auf das Unverwechselbare, daß ich beinahe diese Stunden schon als meine erste Begegnung mit Brod bezeichnen könnte.“
Nach Prag umgesiedelt, verdient sich Baum seinen Lebensunterhalt zunächst als Organist in einer Synagoge und als Klavierlehrer. Ab 1922 schreibt er als Musikkritiker für die Prager Presse. Zwischen Max Brod, dessen Schulfreund Felix Weltsch, sowie dem damals noch recht unbekannten Franz Kafka und Oskar Baum sollte sich aus einer literarischen Interessensgemeinschaft bald eine tiefe Freundschaft entwickeln.
Seinen ersten Roman Uferdasein veröffentlicht Baum im Jahre 1908, es folgen in regelmäßigen, kurzen Abständen weitere Bücher, Aufsätze und Kritiken. Baum ist der erste der bereits erwähnten Freunde, der heiratet und kurz darauf Vater eines Sohnes wird. Während die anderen noch in den Häusern der Eltern leben, kann Baum für die ab 1904 regelmäßig stattfindenden ,Sitzungen‘ die eigene Wohnung zur Verfügung stellen. Auch außerhalb dieser Treffen nimmt der blinde Dichter aktiv am kulturellen Leben der Stadt teil, so hält er etwa neben einem Vortrag über die Werke Max Brods am 20. Dezember 1908 in der ,Lese- und Redehalle‘ auch Lesungen aus eigener unveröffentlichter Prosa, wie zum Beispiel am 20. April 1917 im ,Klub deutscher Künstlerinnen‘. Baums einziges heute noch greifbares Drama Das Wunder wird am 27. März 1920 im ,Deutschen Landestheater‘ uraufgeführt, ein Jahr später – am 14. Februar 1921 – findet der berühmt gewordene Otto-Weiniger-Vortrag statt, dessen Abschrift Kafka in einem Brief erbittet. Die stetige Auseinandersetzung mit dem eigenen Glauben und die genaue Beobachtung der Situation der europäischen Juden, stellen nicht nur Themen für Baums Bücher dar, sondern bieten auch Stoff für zahlreiche Vorträge (beispielsweise zum Thema Seelenkonflikte eines europäischen Juden). Im Jahre 1932 erhält Oskar Baum, dessen Lyrikversuche bislang kaum Beachtung fanden, den tschechoslowakischen Staatspreis für Dichtung in deutscher Sprache. Baum galt in den 30er Jahren als eine der berühmtesten Gestalten der Prager Kulturszene, im übrigen engagierte sich der angesehene Musikkritiker in der jüdischen Kultusgemeinde. Während Sohn Leo und dessen Frau Nora Tavor angesichts der immer schwierigeren Lebensbedingungen für Juden auch in Prag schon bald nach Palästina umsiedeln, will Baum an der Moldau bleiben, will aushalten, will helfen. Schließlich wir die Gefahr zu groß und er beantragt auf Drängen von Familie und Freunden die Ausreisebewilligung nach England, zu spät – ein fehlender Steuernachweis aus dem Jahre 1920 (!) läßt die Emigration scheitern. Kurz vor der anstehenden Deportation nach Theresienstadt, die seine Frau letztendlich ohne den geliebten Mann antreten muß, stirbt Oskar Baum am 1. März 1941 an den Folgen einer Operation.
Leo Baum, der noch in Prag als Journalist in die Fußstapfen des Vaters getreten war, bleibt auch nach dem Krieg weiterhin als Angestellter der englischen Mandatsverwaltung in Jerusalem. Am 22. Juli 1946 wird er im Alter von 37 Jahren Opfer eines Bombenanschlags auf ein Hotel, initiiert von der terroristischen Widerstandsgruppe Irgun unter Menahim Begin. Was von Oskar Baum überlebt hat, ist sein der Wiederentdeckung harrendes literarisches Werk, und das Andenken an einen mutigen Mann, der dem Schicksal auf so vielfältige Weise die Stirn geboten hat.