Charles Lamb

1775–1834

Charles Lamb wurde 1775 in London geboren. Die Verhältnisse seines Vaters, eines Advokatenschreibers, waren recht dürftig; doch besuchte Charles bis zu seinem 15. Jahr eine lateinische Freischule, ja, es würden ihm durch Stipendien die Mittel zum Universitätsstudium geboten sein, wenn daran nicht die Bedingung geknüpft gewesen wäre, daß er Geistlicher werden müsse, das aber verbot ein Fehler in seinen Sprachwerkzeugen. Er war ein schüchterner, in sich gekehrter, dem lärmenden Treiben seiner Altersgenossen abgewandter Knabe. 1792, also 17 Jahre alt, trat er in das Rechnungsamt der ostindischen Gesellschaft ein, und in diesem allmählich aufrückend, hat er bis 1825 entsagungsvoll einem Dienste sich gewidmet, der seinen Neigungen wenig entsprach, seine Mußestunden jedoch füllte er mit wissenschaftlichen und künstlerischen Beschäftigungen aus. Verhängnisvoll für ihn ward eine Geisteskrankheit seiner geliebten Schwester Mary, die im Jahre 1796 in eine Heilanstalt für Irrsinnige gebracht ward; zwar genas sie bald wieder, doch konnte er sie nur dadurch aus ihrer Haft erlösen, daß er sich den Gerichten gegenüber verpflichtete, sie zeitlebens unter seiner Obhut zu behalten. So mußte er für sich auf die Gründung einer eigenen Familie verzichten, zumal von Zeit zu Zeit der Wahnsinn seiner Schwester wieder ausbrach. Aber Mary vergalt ihm seine Liebe reichlich, und in ihren gesunden Tagen war sie ihm in allem was er trieb eine treue Mitarbeiterin und Beraterin, auf deren feines Urteil er viel gab. 1801 erschien eine Tragödie von ihm, drei Jahre später ein kleines Lustspiel, doch fanden beide nur wenig Anerkennung und Wohlwollen bei seinen Landsleuten. Desto beifälliger wurden aber seine Tales from Shakespeare, die zuerst im Jahr 1807 ans Licht traten, von der gesamten Lesewelt aufgenommen; eine Ausgabe folgte der anderen. Als Verfasser nannten sich Charles und Mary Lamb (so auch noch in der mir vorliegenden Ausgabe von J. S. Vitue & Co., London), doch glaube ich erwiesen zu haben, daß Marys Anteil sich nur auf die Tragödie König Lear, höchstens noch auf Romeo und Julia beschränkt hat. Doch hat er vermutlich seiner Schwester die von ihm ausgearbeiteten Stücke vorgelesen, und sie wird hin und wieder einen Ausdruck verbessert haben, so daß er mit Wahrheit seiner brüderlichen Liebe soweit nachgeben konnte, sie als Mitarbeiterin an seinem Ruhm teilnehmen zu lassen.

Charles Lamb hat noch manches andere veröffentlicht, so 1830 eine Sammlung kleinerer Gedichte, doch kann keines seiner anderen Werke sich an Verdienst und Erfolg mit den Shakespeare-Erzählungen auch nur entfernt vergleichen.

1825 gab er sein Amt bei der Ostindischen Gesellschaft auf, um im Genuß eines wohlverdienten Ruhegehalts die letzten Jahre sich selber zu leben. Er zog sich in die Nähe von London zurück und füllte seine Muße mit Arbeiten, wie sie seinem Hange zur stillen Betrachtung zusagten, und der Pflege der Freundschaft aus. 1834 starb er in einem Alter von 59 Jahren.

Aus dem Vorwort Charles Lambs „an seine jungen Leser“ mögen hier die nachfolgenden Sätze mitgeteilt werden:

„Die Shakespeare-Erzählungen sind in der Absicht abgefaßt worden, daß sie jüngeren Lesern zur Einführung in die sorgfältige Betrachtung der Dichtungen Shakespeares dienen mögen. Ich fürchte, für jüngere Leser, welche noch nicht an die dramatische Form gewöhnt sind, zu häufig vom Dialog Gebrauch gemacht zu haben. Dieser Fehler (wenn es ein Fehler ist) ward durch meinen Wunsch veranlaßt, von Shakespeares eigenen Worten möglichst viel beizubehalten. Wenn das oft eingeschobene ‚Er sagte‘ und ‚Sie sagte‘ dem Ohr der jungen Leser lästig fallen sollte, so mögen sie mir das vergeben. Dies war der einzige mir bekannte Weg, auf welchem ich ihnen einen Vorgeschmack geben konnte von dem großen Vergnügen, welches sie in reiferen Jahren erwartet, wenn sie zu jenen reichen Schätzen gelangen, aus welchen diese kleinen wertlosen Münzen geprägt sind.

Was diese Erzählungen euch in eurer Kindheit gewesen sind, das und noch viel mehr mögen euch die Dramen Shakespeares in reiferen Jahren sein. Sie mögen eure Phantasie bereichern, eure Tugend kräftigen, euch von niedrigen Gedanken abziehen, euch aber zugleich in allem, was lieblich und ehrbar ist, unterweisen.“ Karl Heinrich Keck.

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