Adelbert von Chamisso

1781–1838

Adelbert von Chamisso, eigentlich Louis Charles Adélaïde, geboren Ende Januar 1781 auf dem Schloße Boncourt in der Champagne, als der Sprößling einer altadeligen Familie, war als Kind mit seiner Schwester einer alten Aufseherin anvertraut, die ihn mit pedantischer Strenge behandelte. Er war immer nachdenklich und wortkarg, liebte sich abzusondern, was ihm manche Neckerei von seinen Spielkameraden zuzog. Im Jahre 1790 verließ er in Folge der Revolution, neun Jahre alt, mit seinen Eltern, seiner Schwester und seinem jüngsten Bruder Frankreich. Lange konnte die Familie kein sicheres Asyl finden, sie irrte von Stadt zu Stadt, von Land zu Land, lebte abwechselnd in Belgien, Holland und Deutschland, bis es ihr endlich gelang, in Würzburg und später in Bayreuth ruhigen Aufenthalt zu finden. Im Mai 1796 wurde Chamisso Page bei der Königin von Preußen, die ihm gestattete, das französische Gymnasium zu besuchen, wo er sich durch Talent, Fleiß und Fortschritte auszeichnete. Im Jahr 1798 überreichte er dem König Friedrich Wilhelm III. einen militärwissenschaftlichen Aufsatz, dem er es wahrscheinlich verdankte, daß er bald darauf (31. März) zum Fähnrich bei dem Regiment von Götze ernannt wurde, welches damals in Berlin stand. Anfang 1801 wurde er, erst zwanzig Jahre alt, zum Leutnant befördert. In demselben Jahre erhielten seine Eltern vom ersten Konsul die Erlaubnis, nach Frankreich zurückzukehren; ihnen folgte die Tochter und später zwei ältere Söhne.

Chamisso hatte den militärischen Beruf mit Begeisterung ergriffen und er widmete sich ihm mit dem größten Eifer; allein als er die Verhältnisse näher kennenlernte und die Überzeugung gewann, daß das Preußische Heer der vorteilhaften Meinung nicht entsprach, die man von ihm hatte, erkaltete sein Eifer, zumal ihn das rohe und übermütige Treiben der meisten Offiziere anwiderte. Er zog sich daher, soweit es möglich war, von dem Umgang mit denselben zurück und widmete sich mit Beharrlichkeit philosophischen Studien, so wie er sich eifrig mit deutscher Literatur beschäftigte, um sich mit der Sprache ganz vertraut zu machen. So las er nach und nach Klopstocks Messias und dessen Oden, Schiller, Goethe und die Eschenburgische Übersetzung der Shakespearischen Dramen. Auch versuchte er, deutsch zu schreiben. In seinem Nachlaß fand sich ein in Prosa abgefaßtes Trauerspiel, der Graf von Comminge, das er (etwa um 1801) nach einem französischen Vorbild gearbeitet hatte.

Bei aller Vorliebe für deutsche Literatur fühlte er sich doch in Deutschland noch nicht heimisch, und seit seine Eltern nach Frankreich zurückgekehrt waren, erwachte in ihm eine so große Sehnsucht nach dem Vaterland, daß er ihnen nachgefolgt wäre, wenn nicht der Wunsch der Seinigen, daß er seine gesicherte Stellung nicht aufgeben möge, ihn zurückgehalten hätte. Doch sollte sein Verlangen, die Seinigen wieder zu sehen, früher befriedigt werden, als er geglaubt hatte. Sein jüngerer Bruder Eugen, der in die Ingenieurschule in Potsdam aufgenommen und zurückgeblieben war, erkrankte so bedenklich, daß er sich entschloß, ihn zu den Eltern zu bringen (1802). Zwar starb dieser bald darauf, aber Adelbert mußte in Geschäften, die er für seinen kränkelnden Bruder übernahm, noch länger in Frankreich bleiben, so daß er erst Anfang des Jahres 1803 nach Berlin zurückkehrte.

Die Überzeugung, daß seine Anschauungen mit denen der Seinen nicht mehr übereinstimmten, der Umstand, daß er bald nach seiner Rückkehr an Theremin, Hitzig und u.a. gesinnungsverwandte Freunde fand, ließen ihn Deutschland und das deutsche Volk immer lieber gewinnen, und er dachte nunmehr daran, sich eine andere, seinem Wesen angemessenere Stellung zu verschaffen. Unterdessen beschäftigte er sich mit neuem Eifer mit deutscher Literatur und setzte seine poetischen Versuche in seiner zweiten Muttersprache fort, zu welchen ihn besonders Varnhagen von Ense, mit dem er jetzt bekannt geworden war, lebhaft ermunterte. Im Jahr 1803 gab er mit Wilhelm Neumann, der jetzt auch zu seinen näheren Freunden gehörte, einen Musenalmanach heraus, der von der Farbe seines Umschlags den Namen „das grüne Buch“ erhielt. Außer ihnen hatten Hitzig, Ludwig Robert und Theremin Beiträge geliefert. Seitdem versammelten sich diese Freunde regelmäßig des Abends, gewöhnlich erst gegen Mitternacht, zu lebendiger und geistreicher Unterhaltung. Später nahmen auch Graf Lippe, Louis de la Foye, ein französischer Emigrierter und Waffenbruder Chamissos, der später bekannt gewordene Arzt Koreff, Georg Reimer u.a. an diesen poetischen Tees des „grünen Buchs“ Anteil. Zwar verließen schon im Frühling 1804 mehrere Mitglieder der Dichtergenossenschaft Berlin, und es blieben nur Chamisso, Barnhagen, Neumann und Koreff, der sich jedoch auch bald darauf entfernte, in Berlin zurück; aber um in fortgesetzter Verbindung mit den Scheidenden zu bleiben, gründeten sie einen Bund, den Nordstern, dem später auch andere beitraten.

Durch den Musenalmanach zog Chamisso die Aufmerksamkeit mehrerer bedeutender Männer auf sich, die ihn anspornten, die versäumte Bildung nachzuholen. Wie Varnhagen studierte er in den Jahren 1804 und 1805 die griechische Sprache, ohne jedoch seine dichterische Tätigkeit aufzugeben. Mit dem nämlichen Freunde gab er noch zwei Jahrgänge des Musenalmanachs heraus, zu welchem unter anderem Fouqué, August Ferdinand Bernhardi und Rosa Maria, die Schwester Varnhagens, Beiträge lieferten. Im Jahr 1804 ging Varnhagen nach Hamburg, um sich auf dem Johanneum für den Besuch einer Universität vorzubereiten; ihm folgte 1805 Neumann zu dem nämlichen Zweck.

Auch Chamisso mußte im Oktober 1805 Berlin verlassen, um seinem Regimente zu folgen, das nach verschiedenen Märschen im März 1806 in Hameln einrückte und bis zur Übergabe der Festung einen Teil der Besatzung bildete. Ob er sich gleich auf dem Marsch mit mancherlei Studien beschäftigte und dichtete, ward ihm das Soldatenleben je länger je unerträglicher, da er fühlte, wie wenig er für gediegenere Bildung tun könne; und als Varnhagen und Neumann, die Hamburg verlassen hatten, um nach Halle zu ziehen, ihn aufforderten, sie dahin zu begleiten – sie waren auf seinen Wunsch über Hameln gereist – entschloß er sich, seine Entlassung einzureichen. Allein diese wurde ihm nicht gegeben. Einigen Trost gewährte ihm der Freundschaftsbund, den er mit Fouqué schloß, welcher sich damals im nahen Badeort Nenndorf aufhielt, wo er ihn zwei Mal besuchte. Durch diesen angeregt, begann er während seines Aufenthalts ein größeres dramatisches Gedicht, Fortunatus Glücksseckel und Wunschhütlein, ein Spiel, das unvollendet geblieben ist.

Als Napoleon im Jahr 1806 Preußen den Krieg erklärte, erließ derselbe ein Dekret, worin er erklärte, daß jeder Franzose, der in den Reihen des Feindes diene und in Gefangenschaft gerate, vor ein Kriegsgericht gestellt und binnen 24 Stunden erschossen werden solle. Ein wiederholtes Gesuch um Entlassung wurde abgewiesen, trotzdem, daß er vorstellte, wie sehr seine in Frankreich lebende Familie gefährdet sei, wenn er in preußischen Diensten bleibe. Sein Wunsch, dieselben zu verlassen, wurde bald darauf erfüllt, aber auf eine Weise, die ihn mit dem tiefsten Schmerz erfüllte. Die preußischen Generäle gingen eine schmachvolle Kapitulation ein, in Folge deren die Festung dem Feinde übergeben und die Besatzung kriegsgefangen wurde. Obgleich Chamisso sich glücklich schätzen mußte, daß er nicht in den Fall kam, gegen seine Landsleute zu kämpfen, so fühlte er doch die Schmach, die dem Ruhm und der Ehre des preußischen Heeres widerfahren war, dem er angehörte, so tief, als wenn er ein geborener Preuße gewesen wäre. Auf Ehrenwort kriegsgefangen, erhielt er einen Paß nach Frankreich, wohin ihn seine Eltern schon vor dem Ausbruch des Kriegs dringend berufen hatten. Aber er sollte sie nicht mehr antreffen; Vater und Mutter waren kurz vorher gestorben. Vergeblich suchten nun seine Geschwister, ihn in Frankreich zurückzuhalten; nur die Notwendigkeit, seine Vermögensverhältnisse zu ordnen, noch mehr aber die Unmöglichkeit, vor Abschluß des Friedens mit Preußen einen Paß zu erhalten, verzögerten seine Abreise bis Ende September. Nach kurzem Aufenthalte bei Fouqué in Nennhausen, wo er mit Neumann und Varnhagen zusammentraf, reiste er mit Letzterem nach Hamburg und von dort nach Berlin, wo er seinen bleibenden Wohnsitz nahm. Im Januar 1808 erhielt er endlich seinen Abschied. Er suchte nun mit allem Eifer, seine Kenntnisse zu erweitern, er lernte Lateinisch, Spanisch, beschäftigte sich mit italienischer Sprache und Literatur, aber es fehlte doch seinen Studien ein fester Halt, ein bestimmtes Ziel. Dieses Bewußtsein mußte ihn um so tiefer drücken, als seine Freunde Berlin verlassen hatten, und so entschloß er sich denn, dem Wunsche seiner Geschwister nachzugeben und die ihm angetragene Stelle eines Professors am Lyceum zu Napoleonville anzunehmen. Kaum war er jedoch in Paris abgekommen (Februar 1810), als er erfuhr, daß die ihm zugedachte Stelle aufgehoben sei. In Erwartung, eine anderweitige Anstellung zu erhalten, benutzte er seine Muße, um das Studium des Spanischen fortzusetzen. Auch verband er sich mit Helmine von Chézy, die damals in Paris lebte, zur Übersetzung der Vorlesungen A. W. Schlegels über dramatische Literatur, wodurch er mit Frau von Staël in Verbindung kam, die sich damals, von Napoleon auf 40 Stunden von Paris verbannt, auf dem Schlosse Chaumont aufhielt, wo er eine Zeit lang bei ihr verweilte. Als diese nach Blois übersiedelte, folgte er ihr dahin, und als sie auch von dort vertrieben wurde, brachte er den Winter (1810–1811) bei Prosper de Barante, dem Präfekten der Vendée, in Napoleonville zu, wo er sich besonders mit altfranzösischer Literatur beschäftigte. Gern wäre er schon jetzt nach Berlin zurückgekehrt, wohin ihn seine Freunde nach der Gründung der Universität auf das Dringendste einluden, allein seine gegen Schlegel eingegangenen Verpflichtungen nötigten ihn, zur Frau von Staël nach Genf und später nach Coppet zu reisen, bei welcher er blieb, bis sie auch von dort flüchten mußte. Während seines dortigen Aufenthalts beschäftigte er sich vorzüglich mit Botanik, die nun sein Lieblingsstudium blieb.

Nach einer größeren botanischen Wanderung in die Umgegend des Mont Blanc und durch die Schweiz eilte er von Schaffhausen aus ohne weiteren Aufenthalt nach Berlin, wo er sich am 17. Oktober 1812 in seinem 32. Jahr als Studiosus medicinae einschreiben ließ. Mit aller Kraft warf er sich nun auf das Studium der Naturwissenschaften und besonders der Botanik. Eine herbe Zeit trat für ihn ein, als Preußen Frankreich den Krieg erklärte. Aus Liebe zu Deutschland und Haß gegen Napoleons Despotismus war er entschlossen, als Freiwilliger am Kampfe teilzunehmen; doch hielten ihn seine Freunde von diesem Schritte zurück, der ihn ohne Zweifel unglücklich gemacht hätte, denn er liebte doch sein Volk, wie denn der Hohn, der den geschlagenen Franzosen und insbesondere dem von ihm bewunderten Kaiser von den erbitterten Preußen widerfuhr, ihn mit dem lebhaftesten Schmerz erfüllte. Er nahm daher das Anerbieten der Itzenplitzschen Familie, sich auf ihr Gut Cunersdorf zurückzuziehen, mit Dank an, weil er in der Abgeschiedenheit nicht mehr den oft böswilligen Bemerkungen ausgesetzt war, die sein Herz zerrissen. Dort schrieb er den Peter Schlemihl, in welchem er einen Teil seiner eigenen inneren Entwicklung geschildert hat. Nach Vertreibung der Franzosen aus Preußen kehrte er nach Berlin zurück, wo er seine Studien mit neuem Eifer fortsetzte und sich besonders mit der lateinischen Sprache beschäftigte. Die Abende brachte er mit Hitzig, E. W. Th. Hoffmann, Fouqué und Contessa in einem Kaffeehause zu, wo sich die Freunde, von den anderen Gästen abgesondert, heiter und geistreich unterhielten. Der Umgang mit diesen Freunden regte ihn auch wieder zu dichterischer Tätigkeit an, die seit Vollendung des Schlemihl ganz geruht hatte. Er begann in Gemeinschaft mit Fouqué und Contessa einen Roman, dessen einzelne Kapitel unter die Freunde verteilt waren. Doch blieb er in Folge von Chamissos Abreise unvollendet.

Im Jahre 1815 wurde endlich sein längst gehegter Wunsch erfüllt. Nachdem es ihm nicht gelungen war, an der Reise des Prinzen Max von Wied-Neuwied nach Brasilien Teil zu nehmen, wurde er durch Vermittlung seines Freundes Hitzig zum Naturforscher für die Entdeckungsreise in die Südsee und um die Welt ernannt, welche unter der Leitung des Kapitäns der russischen Marine von Krusenstern unternommen wurde. Diese Reise, welche vom 15. Juli 1815 bis zum 31. Oktober 1818 dauerte, hat Chamisso in eben so klarer als geschmackvoller Sprache beschrieben; wir verweisen unsere Leser auf diese Beschreibung, die gewiß jeder mit Interesse lesen wird.

Nach Berlin zurückgekehrt, traf er seine alten Freunde wieder an, aber es gestaltete sich nur mit Hitzig ein vertrauterer Umgang, da sich die übrigen aus verschiedenen Gründen, die in ihren besonderen Verhältnissen lagen, mehr oder weniger abschlossen, ohne jedoch die alte Liebe zu verleugnen. Er begann noch im Jahre 1818, seine zahlreiche und höchst wichtige Pflanzensammlung zu ordnen, – den zoologischen Teil seiner Sammlung hatte er der Universität zum Geschenk gemacht. Im Frühling 1819 ernannte ihn die Universität zum Doktor der Philosophie und die Gesellschaft der naturforschenden Freunde zu ihrem Mitglied; um dieselbe Zeit erhielt er das Amt eines Adjunkts beim botanischen Garten, und um seinem Glück die Krone aufzusetzen, verlobte er sich mit der achtzehnjährigen Antonie Piasta, die in Hitzigs Haus aufgewachsen war, und mit der er, da sie noch ein Kind war, oft gespielt hatte. Bei seinem reichen und tiefen Gemüt, der Liebenswürdigkeit und Liebe seiner jungen Gattin, gewährte ihm das häusliche Leben ein Glück, nach dem er sich oft gesehnt hatte. Es wurde auch da nicht unterbrochen, als im Juli 1822 Feuer in seiner Wohnung ausbrach, das einen Teil der Hausgerätschaften, so  wie manches zerstreut Umherliegende an Pflanzen, Zeichnungen u. s. w. vernichtete; doch konnten die wertvolleren Sammlungen  gerettet werden. Die unangenehmste Folge des Brandes war, daß er in die Stadt ziehen mußte – er hatte bis dahin in Schöneberg beim botanischen Garten gewohnt. –

Im Juni 1823 reiste Chamisso zu Fuß nach Greifswald, um dort für Poggendorf mehrere Wochen lang das Barometer zu beobachen; von dort, wo er im Kreise bedeutender Männer sehr glückliche Tage verlebte, machte er einen Ausflug auf die Insel Rügen. Im Jahre 1824 unternahm er zur Erholung eine Fußreise nach dem Harz. In demselben Jahre hatte Hitzig eine literarische Gesellschaft gestiftet, von dem ursprünglichen Versammlungstage die Mittwochsgesellschaft genannt, obwohl sie sich später montags zu versammeln pflegte, welche, wie Chamisso selbst in einem Briefe an Trinius schreibt, „die wirklichsten Dichter und vorzüglichsten Geister Berlins“ vereinigte. Durch die Besprechungen in derselben angeregt, verfaßte Chamisso ein kleines Lustspiel Die Wunderkur, eine Satire auf den Mißbrauch, der damals mit dem Magnetismus getrieben wurde. Es wurde in Berlin aufgeführt, fand jedoch keinen Anklang, weil es die Idee nicht klar genug hervortreten ließ und zudem in einer Form gedichtet war (in Trimetern), die dem Geist der deutschen Sprache nicht angemessen ist.

Im Herbst 1825 reiste Chamisso nach Paris, um den ihm zukommenden Anteil an der den Emigrierten bewilligten Entschädigung zu erheben. Nicht bloß dies Geschäft, sondern auch der Wunsch, die dortigen naturwissenschaftlichen, insbesondere die botanischen Sammlungen zu benutzen, hielt ihn länger auf, als er sich wohl vorgenommen haben mochte; aber so viel Ehre und Anerkennung ihm auch von den bedeutendsten Gelehrten und andern ausgezeichneten Männern zu Teil wurde, so sehr es ihn freute, alte Freunde und Bekannte, namentlich aber seine Geschwister wiederzusehen, so ergriff ihn doch nach und nach ein solches Heimweh nach seiner Frau und seinen Kindern, daß er die große Weltstadt, in der er sich so einsam fühlte, wieder zu verlassen eilte.

Die Pariser Julirevolution im Jahre 1830 erfüllte ihn mit den schönsten Hoffnungen für die Zukunft, doch sah er sich bald genug enttäuscht. Dagegen wurde er durch die immer zunehmende Anerkennung, die seinen Dichtungen zuteil wurde, erfreut, und die folgenden Jahre waren reich an neuen Schöpfungen. Wie er seine dichterische Laufbahn mit einem Musenalmanach begonnen hatte, so beschloß er sie auch mit einem solchen.

Im Jahr 1832 übernahm er in Gemeinschaft mit Gustav Schwab die Redaktion des Musenalmanachs, von dem schon drei Jahrgänge (1830–1832) unter Wendts Leitung erschienen waren. Er machte es sich in dieser Stellung vorzüglich zur Pflicht, jüngeren Talenten Gelegenheit zu geben, ihre dichterischen Erzeugnisse zu veröffentlichen und viele derselben haben sich später einen ehrenvollen Rang unter den deutschen Dichtern erworben, so W. Wackernagel, Simrock, Kugler, Freiligrath u.v.m.

Im Jahr 1833 wurde sein Amtsgenosse von Schlechtendal nach Halle versetzt und Chamisso übernahm allein und selbständig die Aufsicht über das Herbarium und die Leitung der Geschäfte bei demselben, welche er bisher mit Schlechtendal geteilt hatte. Eine Erkältung, die er sich zugezogen hatte, als er bei schlechter, naßkalter Witterung nach Schöneberg gegangen war, hatte einen Husten zur Folge, der ihn, seitdem er im folgenden Jahr von der Grippe befallen worden war, nie wieder verließ. Der Besuch des Bades Reinerz in Schlesien im Jahr 1835 hatte nur vorübergehende Wirkung, und er sah sich immer mehr an das Zimmer gefesselt. In diesem Zustande beschäftigte er sich vorzüglich mit sprachwissenschaftlichen Forschungen. Die Sprachen der Südsee hatten schon früher seine Aufmerksamkeit auf sich gezogen; er verfaßte jetzt eine Grammatik und ein Wörterbuch der Sprache von Hawaii, welche er am Anfang des Jahres 1837 der Berliner Akademie vorlegte, die ihn zwei Jahre vorher auf Alexander von Humboldts Vorschlag fast einstimmig zu ihrem Mitglied ernannt hatte. In demselben Jahre hatte er das Unglück, seine geliebte Frau zu verlieren, die nach längerer Kränklichkeit an einem Blutsturze starb. Er selbst war zwar immer leidend, doch konnte er sich noch mit mannigfaltigen Arbeiten beschäftigen, ja selbst eine Reise nach Leipzig unternehmen. Aber im Frühling fühlte er, daß seine Kräfte so zusehends abnahmen, daß er sich entschloß, beim Ministerium um Versetzung in den Ruhestand nachzusuchen. Es wurde ihm durch Verfügung vom 4. August 1838 mit Belassung des vollen Gehalts bewilligt. Aber er sollte der Ruhe nicht lange genießen; er starb am 21. desselben Monats.

Chamisso war eine merkwürdige und seltene Erscheinung. Er war ein ganzer Franzose geblieben und zugleich ein ganzer Deutscher geworden; er hatte das Wesen der beiden Nationen zur vollständigen Einheit in sich verschmolzen, von beiden aber nur die guten und schönen Seiten bewahrt, von der französischen den lebendigen Sinn für die formelle Schönheit, den sicheren Geschmack, den klaren Blick, von der deutschen die tiefe Gemütlichkeit, die unermüdliche Ausdauer, den philosophischen Tiefsinn. Diese Doppelseitigkeit tritt auch in seinen Dichtungen hervor, nicht zwar in den früheren Versuchen, in denen er noch mit der Sprache zu kämpfen hatte – auch dichtete er damals noch mit Vorliebe in französischer Sprache, – noch in den nachfolgenden, in welchen er in der romantischen Richtung befangen war, dagegen aber entschieden in denen, welche er nach der Rückkehr von seiner Weltreise verfaßte. Denn diese erscheinen als eine eigentümliche Mischung von Uhland und Béranger, zweien Dichtern, die ihm offenbar bewußt oder unbewußt Vorbilder waren. Seine lyrischen Gedichte sind von einer großen Tiefe und Zartheit der Empfindung; edle Gesinnung und gesunde Lebensansicht, so wie eine einfache, aber immer schöne Form verleihen ihnen einen stets frischen Reiz. Seine epischen Dichtungen zeichnen sich vorzüglich dadurch aus, daß er sich stets bestrebte, die Charaktere und Seelenzustände hervortreten zu lassen, ohne sich in psychologische Malerei zu verlieren. In der Wahl seiner Stoffe ist er stets glücklich; sie sind alle bedeutend und ergreifend. In der Entwicklung derselben bewahrt er mit wenigen Ausnahmen eine gemäßigte Haltung, welche durch die klare, ruhige und feste Form noch gehoben wird. Der Peter Schlemihl kann mit vollem Recht als das Muster eines tiefgedachten und bei aller Einfachheit und Naivität der Darstellung auch formell durchaus gelungenen Märchens bezeichnet werden. Chamisso – man gestatte uns zu wiederholen, was wir schon vor Jahren ausgesprochen haben – ist mit Recht ein Lieblingsdichter unseres Volks geworden; er hat dies aber nicht bloß seinen poetischen Talenten zu verdanken, sondern zum großen Teil auch dem trefflichen Sinn, der seine Dichtungen durchdringt. überall tritt uns die heiligste Liebe zur Wahrheit und zum Guten, überall der entschiedenste Haß gegen das Schlechte, namentlich gegen die Heuchelei entgegen, die sein Sittlichkeitsgefühl in so hohem Grad empört, daß er ihr gegenüber oft der Milde vergißt, die ihn sonst beseelt.

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